Mittwoch, 6. April 2016

BROKEN LAND


Mauern gegen Migration: Dieses Konzept findet nicht nur in Europa Anwendung, sondern auch an der amerikanisch- mexikanischen Grenze. Mitten durch die karge Wüste führt der Grenzzaun, der die beiden Staaten trennt. Als visuelle und politische Metapher zeigt der Film, wie sich die Migrationsproblematik auf die Entwicklung der großen Demokratien der westlichen Welt auswirkt.

Überwachungskameras, die vom Fernsehsessel aus kontrolliert werden, Pistolen im Nachttisch, Wachhunde und abendliche Patrouillen mit Flutlicht und gezückter Waffe im eigenen Garten. Das ist der Alltag, der "way of life", einiger US-Amerikaner, die am Grenzzaun leben, der die USA und Mexiko trennt. Wie die Anwohner mit der Situation der allgegenwärtigen Migrationsproblematik umgehen, ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst: Neben denen, die sich verbarrikadieren, sogar teils als eine Art Bürgerwehr schwer bewaffnet auf Illegalen-Jagd gehen, gibt es auch die, die den "Grenzkrieg", wie sie ihn nennen, ablehnen.

Sie sind die Alltäglichkeit der militärischen Abwehrmaßnahmen und die ständige Überwachung leid. Sie wollen in Frieden und Freiheit leben und haben Verständnis für die Migranten, die den selben Wunsch hegen. Der Dokumentarfilm erzählt aus der Perspektive derer, die auf der begehrenswerten Seite des Zauns leben und lässt US-Bürger zu Wort kommen. Die unkommentierten Aussagen der Interviewten bedürfen keiner journalistischen Bewertung, um die Absurdität der Situation zu verdeutlichen.

Der Film hinterfragt so die Identitätskonzepte und Zukunftsvorstellungen der westlichen Gesellschaft und erforscht die imaginären und tatsächlichen Folgen einer Schutzstrategie, die auch zum eigenen Eingesperrtsein führt. Welche Folgen hat diese Abschottungstaktik für die, denen sie Sicherheit geben soll? Wie beeinflusst sie den Blick auf den Anderen? "Broken Land" ist keine journalistische Analyse, sondern ein philosophischer Streifzug, der einlädt, sich selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen.

DIE ANSTALT - 5. APRIL 2016

Sonntag, 3. April 2016

SCHLEIERHAFT - ÜBER DIE KULTUR DES SCHLEIERS IN EUROPA



Heute finden sich Schleier in der westlichen Welt nur noch als Relikte in Form von Braut-, Witwen- oder Nonnenschleiern. Schleier sowie Kopftuch werden als typische Kopfbedeckung muslimischer Frauen angesehen. Und um den muslimischen Schleier und dessen Symbolgehalte geht es in der Dokumentation.

Babylonische Göttinnen, Damen in der Antike und Madonnen auf mittelalterlichen Gemälden: Seit Menschengedenken verdecken Frauen ihr Haar, verhüllen ihr Gesicht oder den ganzen Körper. Schleier und Kopftücher sind mächtige, urweibliche Zeichen - und sie bilden einen Widerspruch in sich: Sie machen Weiblichkeit sichtbar durch Verhüllung.

In westlichen Gesellschaften haben Schleier heute nur noch symbolischen Wert, als Brautschleier oder Nonnenhauben. Schleier und Kopftücher gelten als typisch islamische Kopf- und Körperbedeckungen. Im europäischen Straßenbild geben sich Kopftuchträgerinnen als Musliminnen zu erkennen. Und gerade bei jungen Frauen sind sie Ausdruck eines gestärkten muslimischen Selbstbewusstseins.

Im Westen lösen diese Kopfbedeckungen heftige Gefühle aus. Sie transportieren die unterschiedlichsten Botschaften in Bezug auf Geschlechterordnungen und Religion, gleichzeitig enthalten sie eine Fülle kultureller, erotischer und modischer Codes. Über das Erscheinungsbild von Kopftuch- und Schleierträgerinnen in der Öffentlichkeit wird im französischen Parlament diskutiert, im deutschen Feuilleton gestritten, in niederländischen Internetforen debattiert. Ganzkörperschleier - die afghanische Burka und der arabische Niqab - stoßen auf strikte Ablehnung. Sogar einfache Kopftücher sind zu Sinnbildern für kulturelle Überfremdung, radikalen Islam, Unterdrückung der Frau im muslimischen Patriarchat und weibliche Unfreiheit schlechthin geworden.

Schleier und Kopftuch waren und sind Inspiration für Kunst- und Kulturschaffende, früher thematisch fokussiert auf erotische und sinnliche Inhalte, heute auf das Spannungsfeld zwischen weiblicher Unfreiheit und Selbstbehauptung. Bis heute sind Schleier Projektionsflächen, für die Starkünstlerin Shirin Neshat ebenso wie für den Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk.

Die Dokumentation spürt die höchst komplexen Bedeutungsebenen hinter den Zeichen auf. Sie fragt aus deutscher und französischer Sicht, welche Rolle sie bei der Interpretation von Weiblichkeit spielen, welche realen und eingebildeten Gefahren von diesem Stück Stoff ausgehen, und warum der Schleier trotz allem seine Faszination und Magie bewahrt.